Das Forschungsprojekt »Strategie spielen« – ein Werkstattbericht

Nohr/Wiemer/Böhme | 13.03.2011 | Zitierlink |

»Seit 2500 Jahren bewähren sich SunTzus 13 Gebote der Strategie. Die Weisheit des chinesischen Generals überdauern jede Managementmode – in Asien gehört seine klassische Schrift über Strategie bis heute zu den meist gelesenen Werken unter Managern und Politikern.« – Klappentext zu Werner Schwanfelder: »Sun Tzu für Manager: Die 13 ewigen Gebote der Strategie«, Campus 2004

Das strategische Denken scheint – nicht nur in der abendländischen Denktradition – eine spezifische Form eines rationalen Denkens zu sein. Strategie scheint einer der maßgeblichen Begriffe zu sein, wenn es um Entscheidungsfindung, Denkräume operationalen Handelns oder die Modellation effizienter Zielerreichung geht. Die Entwicklung einer Strategie setzt das Abwägen zwischen unterschiedlichen Entscheidungen voraus. Implizit wird die Strategie zudem auf vorentworfenen Zieldefinitionen aufbauen, aus denen ihre ‚Gewinnbedingungen‘ abgeleitet werden können. Der Stratege benötigt nicht nur ein Wissen über möglichst alle relevanten Elemente der Situation, sondern auch ein Modell darüber, nach welchen Regeln diese Elemente funktionieren, welchen Kräften sie ausgesetzt sind und welche Wirkungen mit welchen Elementen zu erreichen sind. Kaum verwunderlich also, dass der Begriff der Strategie Kulturen ‚quergängig‘ durchzieht und uns im Militär, der Ökonomie, Wissenschaft oder auch dem alltäglichen Handeln begegnet. Gleichzeitig ist aber das ‚prognostische‘ Handeln mit einem strategischen Vorentwurf auch immer ein ‚Spiel‘: ich bestimme ein Ziel meines Handelns, lege die Bedingungen fest die es zu erreichen gilt um dieses Ziel zu erreichen, planen den effizientesten Weg zum Ziel. Kurz gesagt: vor dem ‚tatsächlichen‘ Handeln steht das ‚Probehandeln‘. Die innere Affinität von Strategie und Spiel liegt hier begründet. Gleichzeitig ist das strategische Handeln ein hochrationales Handeln, das strategische Prognostizieren ein Denken in regelhaften und rationalen Algorithmen. Dementsprechend ist die innere Affinität von Strategie und Computer über eine solche rationale und regelhafte Form erahnbar.

Hier liegt die Motivation des Forschungsprojekts „Strategie Spielen: Steuerungstechniken und strategisches Handeln in populären Computerspielen (am Beispiel von Wirtschafts-, Militär- und Aufbausimulationen) an der HBK Braunschweig. Es will die Begriffs- und Bedeutungsfelder von Strategie, Spiel und Medium zusammen führen – und dies an einem Beispiel, dass ganz augenscheinlich all diese drei Felder in sich integriert: Computerstrategiespielen. Ein vielversprechender Ansatz für unsere Forschung besteht aber nun darin, das Spiel – anders, als oben angedeutet – vorrangig im Sinne einer ‚Materialisierung‘, als Medium von Strategie zu begreifen. Die bisherigen Aussagen zum Verhältnis von Spiel und Strategie sind implizit von einer geregelt funktionalen Beziehung ausgegangen. Das Spiel kann als ein Mittel für den Zweck der strategischen Planung, als logisches Übungsfeld, als Mittel der Veranschaulichung oder als Gedächtnisstütze dienen. Demgegenüber würde die Betrachtung des Spiels als Medium die Wechselwirkungen zwischen Spiel und Strategie nicht nur in einem Mittel-Zweck-Verhältnis verorten, sondern darüber hinaus als Relation von Medium und Form befragen. So scheint beispielsweise für die meisten zeitgenössischen strategischen Unterhaltungsspiele zu gelten, dass sie weniger als Modellraum für strategische Handlungen dienen, die dort erprobt würden, um später in realiter exekutiert zu werden, sondern vielmehr als relativ abstrakte Modelle strategischen Denkens. Eine wichtige Eigenart von Unterhaltungsspielen besteht nämlich offenbar gerade darin, das Strategische als spezifische Denkform weitgehend vom strategischen Handeln zu entkoppeln. Das Spiel wäre in dieser Perspektive also nicht das praktische Hilfsmittel einer konkreten strategischen Planung, sondern eine kulturelle Form, die an der (Re-)Produktion einer spezifischen ‚mentalen Justierung‘ mitwirkt.

Diese (der kritischen Diskursanalyse entlehnte) Konzeptualisierung bildet denn auch den leitrahmen unseres Projekts. Konkret untersucht wurden solche Wissenstransfers in der bisherigen Projektlaufzeit an drei Zugriffsperspektiven. Wir haben uns den Strategiespielen (jenseits einiger historischer Exkurse zurück in die Geschichte des Kriegs-(Brett-)Spiels) bisher vertiefend und analytisch über ihre Räumlichkeit und Topografie (Kartographie, Geopolitik usf.) angenähert, ebenso wie wir uns vertiefend mit den in Strategiespielen innewohnenden ‚Regierungstechnologien‘ angehnähert haben (Selbst-Management, gouvernementalité, usf.). Den letzten Schritt bildet bisher die Untersuchung der spezifischen Medialität des Strategiespiels (Datenbanklogik, Handlungssteuerung, usf.).

Neben einer solchen inhaltlichen Skizze schient es aber vielleicht auch von Interesse einmal einen näheren Blick auf die Organisation, die Tätigkeiten und die Infrastruktur eines solchen Projekts zu werfen. Im Moment befindet sich das Projekt in seiner zweiten (dreijährigen) Phase. Dieser ging eine einjährige Vorphase voraus, in der einerseits der Forschungsstand exploriert wurde, der Förderantrag vorbereitet wurde und bereits einige modellhafte Analysen durchgeführt wurden. Zur Zeit bereitet das Projekt den Förderantrag für die dritte Phase vor, die ab Anfang 2011 stattfinden soll. Auch hier werden wir wieder an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) herantreten, die auch die aktuelle Phase finanziert. Die erste Phase konnte durch Mittel der Stiftung Nord/LB- Öffentliche gesichert werden.

Das Projekt selbst befindet sich in einem Netzwerk von Forschungsprojekten. Hier zu nennen sind vor allem der enge Kontakt zur AG Games in der Gesellschaft für Medienwissenschaft und die Kooperation mit zwei weiteren (DFG-geförderten) Forschungsprojekten der game studies mit kultur- und medienwissenschaftlichem Zuschnitt („DIGAREC – Digital Game Research Center“, Potsdam und „Medienmorphologie – Mediennarrationen und Medienspiele“, Siegen).

Aktuell arbeiten neben dem Projektleiter Rolf F. Nohr zwei wissenschaftliche Mitarbeiter an dem Projekt (Stefan Böhme und Serjoscha Wiemer), die jeweils mit einer halben Stelle vor allem mit inhaltlicher Arbeit (Tiefen-Recherche, Materialanalyse, Sammlungsaufbau, Ergebnis-Verschriftlichung usf.) befasst sind. Die Promotionsprojekte der Mitarbeiter liegen in inhaltlicher Nähe zum Projektfokus, sind aber nicht Teil der Projektarbeit. Das Team wird unterstützt von einem Team von Tutoren (Frank Bandau, Steffi Pulst und Sandy Werner) die punktuell mit klar abgegrenzten Einzelaufgaben (Literaturrecherche, Analyse) befasst sind und die ebenso zur organisatorischen Abwicklung des Projekts beitragen. Der ‚Arbeitsalltag‘ des Projekts besteht – jenseits der individuellen Forschungsarbeit – im wesentlichen aus drei Elementen: der wöchentlichen jour fixe, in dem das Team vor allem inhaltlich diskutiert und dem öffentlichen Oberseminar. In dieser 14tägig stattfindenden Abendveranstaltung werden vorrangig Texte und Zwischenergebnisse diskutiert; dies in einem Kreis von interessierten Studierenden. So hat sich über die Jahre zwischenzeitlich ein mehr oder weniger stabiler Kern von Studierenden herausgebildet, die kontinuierlich mit uns Texte liest und diskutiert. Hier findet auch halbjährlich ein kleiner Höhepunkt des Projekts statt: das game lab. Dieses dritte Element der kontinuierlichen Arbeit ist eine moderierte und beobachtete Spielsession (von zumeist Multiplayerspielen), die vor allem der Beobachtung und Evaluation von Spielverhalten dient.

Einer der wesentlichen Orte der Projektarbeit sind auch die drei workshops, die im Laufe des Projekts durchgeführt wurden. Dazu wurden an drei Wochenenden Wissenschaftler nach Braunschweig eingeladen um in einem entspannten (und öffentlichen) Arbeitsklima miteinander zu diskutieren. So haben wir u.a. mit Britta Neitzel, Niels Werber, Rámon Reichert, Jochen Venus, Stefan Günzel, Julian Kücklich oder Ralf Adelmann prominente Vertreter der kulturwissenschaftlichen games studies begrüßen dürfen. Weniger der Vortrag als die Diskussion waren das Ziel dieser Treffen. Die veröffentlichten Audiomitschnitte der workshops (www.strategiespielen.de) zeugen von einem produktiven und inspirierenden Arbeitsklima. Daneben konnten noch punktuell einige Abendvorträge (u.a. Hartmut Winkler, Markus Stauff, Gunnar Sandkühler) in der Projektlaufzeit wichtige Impulse für unsere Arbeit geben. Diese Arbeitsform soll dann Ende 2010 auch in einer großen Abschlusskonferenz ihren Höhepunkt finden.
Einen großen Raum in der Projektarbeit nimmt auch die Präsentation und vor allem Diskussion unserer Ergebnisse auf Tagungen und Konferenzen ein. In der Laufzeit des Projekts fanden daher auf eine Reihe ‚einschlägiger‘ nationaler wie internationaler Konferenzen Panels oder Einzelbeiträge des Projekts ihren Raum. Als besonders produktiv (nicht nur im Sinne des wissenschaftlichen Austausches sondern auch im Sinne der Netzwerkbildung) hat sich dabei vor allem der zweimalige Besuch der Jahrestagung der American Culture Association / Popular Culture Association in den USA erwiesen.

Die Arbeit in einem solchen Projekt kulminiert naturgemäß in einer regen Publikationstätigkeit. Neben unzähligen Artikel-Veröffentlichungen in deutsch und englisch der einzelnen Mitarbeiter seine vor allem die bisherigen drei Buchproduktionen erwähnt. Der Sammelband „Strategie Spielen. Zur Politik, Medialität und Geschichte des Strategiespiels“, (Lit-Verlag, 2008) herausgegeben von Rolf F. Nohr und Serjoscha Wiemer vereint eine Reihe von Zugriffsformen und Analysen zum Gegenstand Strategiespiel. Die Monografie des Projektleiters Rolf F. Nohr, „Die Natürlichkeit des Spielens. Vom Verschwinden des Gemachten im Computerspiel“ (Lit-Verlag, 2008) konzentriert verstärkt auf das im Forschungsprojekt verfolgte theoretische Modell, wohin die gemeinsam mit Stefan Böhme 2009 im Appelhans-Verlag vorgelegte Monografie „‘Die Auftritte des Krieges sinnlich machen‘. Johann C. L. Hellwig und das Braunschweiger Kriegsspiel“ die Ergebnisse der Rekonstruktion des Braunschweiger Kriegsbrettspiels nochmals zusammenführt.

Nicht ohne Erwähnung dürfen aber einige ‚Seitenlinien‘ unseres Projekts bleiben, die zwar teilweise sehr arbeitsintensiv, dennoch nie ‚abwegig‘ waren. So haben wir beispielsweise (beginnend in der Vorphase) das historische Kriegsbrettspiel des Braunschweiger Mathematikers Johann Christian L. Hellwig rekonstruiert. Im Rahmen der Veranstaltung „Braunschweig – Stadt der Wissenschaft 2007“ konnte so nicht nur ein öffentlichkeitswirksames und lokal hochinteressantes historisches Artefakt präsentiert werden. Die Beschäftigung mit diesem Brettspiel erlaubte auch für das eigentliche Forschungsvorhaben interessante Aufschlüsse über Diskurse strategischen militärischen Wissens, eine aufklärerische Didaktik versinnlichenden Lernens oder die historischen Wurzeln von Raumkonstitution im Strategiespiel.
Auf eine ähnliche Weise wurde Mitte 2009 eine interessante Kooperation mit dem Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF) (Prof. Christof Hermann) aufgenommen. Hier haben wir gemeinsam mit den Mitarbeitern des Instituts ein Unternehmensplanspiel zum Thema Life Cycle Management entwickelt. Life-Cycle-Management und die Anwendung von ganzheitlichen Managementsystemen sollen helfen, Prozesse, Produkte und Dienstleistungen hinsichtlich ihrer ökonomischen und ökologischen Auswirkungen zu verstehen und zu verbessern. Unser Interesse war es aber vor allem, die bis dato gewonnenen Erkenntnis über Spieldidaktiken und -mechaniken, aber auch unser Modell des Wissenstransfers in Spielen pragmatisch zu überprüfen. So ist es vor allem dem dafür eingestellten Mitarbeiter Julius Othmer gelungen, nicht nur als ‚Dienstleister‘ sondern auch im Sinne eines Grundlangen-Forschungsprojekts eine konkrete Arbeitsanforderung mit den Erkenntnis-Ansprüchen des Forschungsprojekts in Einklang zu bringen. Um diese produktive Zusammenarbeit zu kontinuieren, ist aktuell ein Förderantrag bei der Deutschen Bundesumweltstiftung eingereicht worden.

Eine weitere Ausweitung unserer Kooperationen streben wir durch einen (ebenfalls noch offenen) Förderantrag an, der mit amerikanischen Partnern (Arizona State University, u.a.) im DFG/NEH -Rahmenprogramm Digital Humanities gestellt wurde. Das Projekt “Research Methods in Computer Game Studies: A Germany-US Comparative Analysis” möchte in den nächsten Jahren vertiefend den Methodenkanon kultur- und medienwissenschaftlicher Arbeit vergleichend zusammen führen und diskutieren. Hierfür hat das Forschungsprojekt „Strategie spielen“ die Koordination des deutschen Teils übernommen.

Einen letzten – aber nicht unwichtigen – Teil des Projekts stellt die Öffentlichkeitsarbeit dar. In unserem Verständnis gilt es die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit nicht nur einem Fachpublikum zugänglich zu machen sondern auch einer breiten Öffentlichkeit. So konnten wir Themen wie bspw. Die Hellwigrekonstruktion nicht nur in den lokalen braunschweiger Medien( BSZ, Subway) mehrfach unterbringen, es ist uns auch gelungen überregionale Medien vom Radio (NDR-Bremen), über Print (Zeit-WISSEN) bis zum Fernsehen (N24, GigaTV) für unsere Themen zu interessieren. Nicht zuletzt begreifen wir unsere Projekt-Webseite www.startegiespielen.de als ein Medium der Kommunikation.

Die Arbeit an einer medien- und diskursorientierten Erforschung von Strategiespielen erweist sich also nicht nur als inhaltlich produktiv sondern scheint auch in hohem Maße anschlussfähig an andere Forschungs- und Analyseprojekte, sie ist gesellschaftlich relevant reicht weit über die belange des Fachs hinaus. Wir sind zuversichtlich, einige der in der bis dato aufgeworfenen Fragen in der nächsten Projektphase erfolgreich weiterverfolgen zu können, gerade auch im Hinblick auf methodologische Problemstellungen im Kontext der (jungen) game studies.

Originalveröffentlichung in: Nohr, Rolf F. (2010): Das Forschungsprojekt „Strategie Spielen“ – ein Werkstattbericht. In: Barbara Straka (Hg.): HBK-Katalog, Vol.5. Kunst – Design – Wissenschaften. Braunschweig: Appelhans.